Reihe: Der Anderen Meinung - Die Wahrheit liegt stets in der Mitte
Über die Anmaßung von Gerechtigkeit und den Gerechtigkeitsschwindel
Von Gerechtigkeit gezeichnet tief
und durch Gleichheit alle Kraft verloren,
die Gesellschaft laut um Hilfe rief,
doch keiner war dazu erkoren.
(aus: Karsten Cascais, Spruchsammlung, Auf Glauben gründet das Begehren der Kannibalen zum Verzehren, 2013)
Nachdem Kaiser, Führer und sogar Gott wie auch die meisten überkommenen Idole selbst ausgedient haben, einen scheinbar über jeden Zweifel erhabenen Angelpunkt in der gesellschaftlichen und damit auch politischen Auseinandersetzung abzugeben, haben wir heute die Gerechtigkeit als universellen Klarmacher auf den Thron gehoben und sie zudem in vielen Gesellschaften noch durch den Begriff der sozialen Gerechtigkeit geadelt - soweit gar, dass selbst die an sich der Rechtswahrung verpflichteten Verfassungsrichter mit ihr den ganzen übrigen verfassungsrechtlich vorgegebenen und an sich ewig gültigen Wertekatalog aushebeln. Die promiskiösen Dienste einer absoluter Gerechtigkeit sind zum Grunddogma des herrschenden Sozialhedonismus erhoben worden. Wir erinnern in diesem Zusammenhang an zwei Beträge in diesem Blog zu diesem Thema:
Anmaßung von Gerechtigkeit
Ein jeder, der über Gerechtigkeit
philosophiert, findet genau soviel Ungerechtigkeit vor, das ist zwingend. Denn
was dem einen gerecht ist, wird einem anderen immer ungerecht sein. Der Mensch
ist ein Mangelwesen, schon mehr als hundert Sekunden ohne Luft bedrohen sein
Leben. So ist es mit allem. Mangel bedeutet aber stets, dass der, der was
bekommt, Glück hat und das als gerecht empfindet, und der, der leer ausgeht,
hält dies dementsprechend für ungerecht. Die Arbeiter in Rumänien, die noch das
biologische Existenzminimum kennen (und nicht ein durch Sozialfunktionäre
theoretisch ermitteltes), empfinden es als gerecht, Arbeitsplätze zu bekommen,
die Arbeitnehmer bei Nokia in Deutschland, die, obgleich sie ihr Bestes gegeben
haben, ihren Arbeitsplatz verlieren, empfinden es als ungerecht – wenn auch die
Rumänen glücklich wären, durch ihre Arbeit soviel zu verdienen, wie den
Deutschen auch nach Hartz IV bleibt. Jeder, der vor Gericht war, weiß, dass
Gerechtigkeit von jedem dort mit bestem Gewissen für sich beansprucht wird,
obwohl doch nur einer eigentlich Recht haben kann. Im individuellen Bereich
dient die Vorstellung von Gerechtigkeit der Steuerung und Korrektur eigenen
Verhaltens im Hinblick auf die Interessen eines anderen, mit dem man in
Berührung kommt. Hier durchläuft auch jede allgemeine Regel, die wir gemeinhin
als Recht bezeichnen, in der konkreten Anwendung die individuelle
Gerechtigkeitskontrolle. Auch wenn ein Vertrag mir dieses oder jenes Recht
gibt, kann mir mein Gewissen sagen, dass dessen Durchsetzung im konkreten
Ergebnis dennoch ungerecht ist. In der Gesellschaft aber ist die Gerechtigkeit
eine inhaltsleere Scheme, denn Bedeutung kann sie dort nur dadurch erlangen,
dass man ihr etwas Bestimmtes zuordnet. Das macht nun jeder nach seinem individuellen
Erlebnis, somit gibt es soviel Gerechtigkeiten wie es Menschen gibt. Das ist
auch der Grund, warum zu jeder Zeit und auch für alle Zukunft ein Kommentator
nie mehr Gerechtigkeit und nie weniger Ungerechtigkeit als heute finden wird,
es hängt nur vom eingenommenen Standpunkt ab. Verkennt man dies, wird
Gerechtigkeit, wie jeder zur Absolutheit tendierende Begriff zu einer Geißel
des Zusammenlebens. Davor stehen wir. Die Gesellschaft lebt von abstrakten
Regeln, Formen, Symbolen, über die sich ihre Mitglieder absprechen. Regel aber
bedeutet Recht und nicht Gerechtigkeit. Ein allgemeines Gesetz gilt für jeden
an jedem Ort und zu jeder Zeit, damit ist mit dem Gesetz auch die unvermeidbare
Ungerechtigkeit vorgegeben. Da eine jede Gesellschaft aber nur durch Regel und
Rechtsicherheit bestehen kann, sind die Ungerechtigkeiten in Kauf zu nehmen.
Oder anders, je mehr unter dem Namen der Gerechtigkeit geschieht, umso
unsicherer wird das Recht. Ob wir auf der Straße links oder rechts fahren, ist
an sich gleich, wichtig ist nur, dass wir uns auf eine Regel einigen. Diese
Regel ist dann aber auch in jedem Fall einzuhalten, ganz gleich, ob sie
manchmal zu wenig gerechten Ergebnissen führt, weil es Menschen gibt, die
rechts und links nicht unterscheiden können. An sich können sie ja nichts
dafür, es ist ihnen angeboren. Würde man aber für sie die Regel korrigieren,
was diese sicherlich als gerecht empfinden, würde man bei anderen Unfälle
verursachen, die die Regel für allgemein verbindlich beachten, was diesen
gegenüber wieder sehr ungerecht wäre. Hätte eine Gesellschaft sich wirklich der
Gerechtigkeit verschrieben, dann wäre sie verloren, denn nur die lückenlose
Anwendung von Recht und nicht die Gerechtigkeit vermag gesellschaftlichen
Zusammenhalt zu begründen. Alles andere gehört religiösen Vorstellungen von
einer besseren Welt an, weswegen in der Gesellschaft die Vorstellung von
Gerechtigkeit auch immer mit einer behaupteten Allmacht gepaart vorkommt, wie
wir sie früher nur Gott beilegten. Ein jeder aber, der sich für allmächtig
hält, blanken Fußes über das Meer zu gehen, ertrinkt. Wo die Sicherheit des
Rechts zugunsten der Gerechtigkeit fehlt, kehrt das Chaos zurück und das ist
der Tod. Gevatter Tod ist auch nicht gerecht, er greift die Menschen
ausschließlich nach Willkür von der Bahre. Leben und auch lebensfähige
Gesellschaften können nur existieren, wenn sie die unveränderlichen Bedingungen
für die Bildung des Lebens beachten. Da findet sich aber weder Gerechtigkeit
noch Gleichheit (wie etwa die wissenschaftlich eigentlich unbestrittene
Tatsache, dass weit über 50 % menschlicher Begabung genetisch bestimmt sind,
was nicht zu unserem modernen Demokratieverständnis passt). Wir können in
unseren die Gesellschaften bildenden Absprachen versuchen das eine oder das
andere auszugleichen. Aber schon der Blick auf die Welt zeigt, dass wir uns
dabei allenfalls wie mit einem kleinen Boot auf den wilden Ozeanen bewegen.
28.01.2008
Der Gerechtigkeitsschwindel
Sozialpolitiker wie Kirchenvertreter bombardieren uns seit
Jahrzehnten mit sich ständig verschlechternden Zahlen zur Armut der Bevölkerung
und sind sich dabei –nach dem Motto der Zweck heiligt die Mittel- zu jederlei
statistischen Taschenspielertricks nicht zu schade. So stieg aufgrund solcher
Tricks etwa die Zahl der in armen Haushalten lebenden Kinder von 1 Mio. im
Jahre 2003 um 150 % auf 2.5 Mio. im Jahr 2005, seither ist die neue Kinderarmut
in aller Munde. Die statistische Armutsgrenze ist infolge ihres statistischen
Konstrukts (60 % eines statistisch ermittelten Durchschnittseinkommen ohne
Berücksichtigung etwa von Schwarzarbeit oder familieninternen Leistungen)
rasant gestiegen und beträgt heute mit knapp 1.000 Euro mehr, als viele durch
ihre Arbeit überhaupt verdienen und zumindest früher glücklich gewesen wären,
verdient zu haben. Auf der anderen Seite haben sich die Sozialausgaben pro Kopf
in den letzten Jahrzehnten verdoppelt, in keinem Bereich wurden so viele neue
Arbeitsplätze geschaffen wie im Sozialbereich. Und die behauptete
Gerechtigkeitslücke hat mittlerweile dazu geführt, dass mehr als 41 % der
deutschen Bevölkerung seinen Lebensunterhalt mehrheitlich aus staatlichen
Sozialleistungen bezieht, in den neuen Bundesländern sind es 47 %, in Berlin
mehr als 60 %. Dafür wird ein Drittel des gesamten Staatshaushalts verwandt.
Ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung trägt diese Lasten, sie bringen 80 %
der Einkommensteuer auf, ein Zehntel der Bevölkerung zahlt mehr als die Hälfte
des gesamten Einkommen- und Lohnsteueraufkommens. So sieht die
Gerechtigkeitslücke in Wirklichkeit aus. Jedoch werden die Forderungen der
Funktionäre und Sozialpolitiker immer dreister. Nachdem die sozialistischen
Umverteilungsmodelle in den Arbeiter- und Bauernparadiesen allesamt gescheitert
waren, hat man sich ganz rasch der Gerechtigkeit als revolutionären
Antriebssatz besonnen. Gerechtigkeit ist in jedem Menschen wie Liebe und
Verantwortung eines der Links, die das Individuum mit anderen verbindet und
hierdurch erst ein Zusammenleben ermöglicht. Gerechtigkeit kennt somit jeder
aus eigener täglicher Erfahrung, sei es als Verpflichtung oder als Forderung,
nicht anders als die Liebe. So wie die Liebe bezieht sich die Gerechtigkeit auf
alles, was ein Mensch erfahren und erlangen kann. Auf abstrakter Ebene jedoch,
also als gesellschaftliche Regel zwischen vielen Menschen taugt sie konkret,
also gewissermaßen bei Wort genommen nicht mehr und nicht weniger als etwa die Liebe
taugt. Liebe in Bezug auf Vaterland, Führer, Idole sind uns als Missbrauch
geläufig, keine andere Gefahr aber läuft auch eine allein durch ihren
individuellen Gefühlswert bestimmte abstrakte Form der Gerechtigkeit. In der
politischen Auseinandersetzung instrumentalisiert, wie dies immer mehr
geschieht, kollidiert sie mit dem bestehenden Recht (die Vorstellung von einer
gesellschaftlichen Gerechtigkeit dient dazu, das bestehende Recht zu
relativieren), vor allem ganz rasch mit den staatsrechtlichen, verfassungsrechtlichen
Grundlagen (unter dem Schlagwort der Gerechtigkeit befreien sich Forderungen
von verfassungsrechtlichen Bindungen wie denen des Eigentumschutzes- Enteignung
nur gegen angemessene Entschädigung- oder einer verfassungsrechtlichen Steuergerechtigkeit
–die allgemeine Steuerbelastung darf 50 % auf Dauer nicht übersteigen- oder,
ein aktuelles Beispiel aus der Diskussion über „gerechte“ Managergehälter, der
Berufsfreiheit –die Freiheit von Unternehmern, Manager an ihren
Vermögens-Zuwächsen zu beteiligen-). Die nebulösen Vorstellungen einer
scheinbar innerhalb einer Gesellschaft existierenden Gerechtigkeit fegt alle
solch wohlbedachten und ausgewogenen Grundsätze vom Tisch. Das ist eine andere
Art der Revolution. Gerechtigkeit ist Realität, aber nur als Pflicht und
Forderung in jedem Einzelnen, in der Gesellschaft kann ihr nur symbolhafte
Bedeutung zukommen, nicht anders als etwa der Liebe. Symbolhaft bedeutet aber
immer definierte Sinnhaftigkeit. Das heißt, wir müssen uns vorher darüber
einigen, was in der Gesellschaft als gerecht gelten soll. Indessen gibt es
keinen abstrakten Inhalt einer Gerechtigkeit, der schlüssig aus ihr abzuleiten
wäre. So etwas gewinnt man nur aus der Analogie zum eigenen Erleben und dieses
ist vielfältig. Daher versteht auch jeder, erst einmal selber betroffen, unter
Gerechtigkeit etwas anderes und in der politischen Auseinadersetzung
instrumentalisiert und missbraucht, steht zu befürchten, dass die immer mehr
von staatlichen Transferleistungen abhängige Mehrheit schlicht ihre
Vorstellungen zur Verpflichtung der sie unterhaltenden Minderheit mit ihrer
Hilfe durchsetzt. Der Gerechtigkeit wird damit die Bedeutung beigelegt, das von
einer Gruppe politisch Gewollte wertmäßig zu antizipieren. So wurde totalitär
stets gearbeitet, zuerst werden die Wertmaßstäbe verändert und dann wird
ausgegrenzt. Daher wird es höchste Zeit, dass alle klare Worte reden und die
Selbstbedienung der Sozialfunktionäre und der ihnen folgenden Politiker am
scheinbaren Gerechtigkeitsideal beenden. So gibt es keine (allgemein
verbindliche) Gerechtigkeit, die gleiche Einkommens- und Vermögensverhältnisse
für alle fordert. Auch gibt es keine Gerechtigkeit, die eine andere
Güterverteilung verlangt, als sie sich aus den zu ihrer Schaffung erbrachten
Leistungen ergibt. Das sind sozialrevolutionäre Zielsetzungen, die von denen,
die die Werte erarbeiten, gerade nicht geteilt werden. Auf der anderen Seite
gibt es eine Menge Aufgaben, auf die wir uns in den modernen Staaten geeinigt
haben, sie als gerecht zu bezeichnen, wie die Chancengleichheit, vor allem in
Bezug auf Ausbildung. Auch gehört eine Sicherstellung der allgemeinen
Lebensgrundlagen dazu, wobei aber bereits die Methoden zu deren Ermittlung in
Zweifel stehen. Alle diese Zwiste und unterschiedlichen Auffassungen versuchen
uns die Sozialpolitiker und –funktionäre mit einer Gerechtigkeitsvorstellung a
la Friede, Freude, Eierkuchen zu übertünchen. 02.02.2008
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