Dienstag, 8. April 2014

Ärzte: vorgetäuschte Vorsorge



Reihe: Der Anderen Meinung
- Die Wahrheit liegt stets in der Mitte 


Der Stand der medizinischen Versorgung ist hoch, noch höher sind allerdings die Gesundheitsaufwendungen, zumal der überwiegende Anteil von ihnen nichts zu dem genannten Standard beiträgt. Mit anderen Worten, ein großer Anteil der Gesundheitsaufwendungen wird ineffezient verpulvert. Rainer Logos berichtet nun in seinem Blog RL Recherchierte Lügen über eine Studie, nach der diese Effezienz ebenso für den Großteil der von den Ärzten erbrachten Leistungen gelte. Vielmehr täusche die Mehrheit der Ärzte bei ihren Leistungen einen Standard, den eine Minderheit von etwa 20 % ihrer Kollegen allein zu erbringen in der Lage sei, und zwar mit einem gewaltigen Kostenaufwand, nur vor - ein zu hoher Preis für das Placebo des weißen Rockes.


Ärzte: vorgetäuschte Versorgung

Überteuertes Placebo

Erhebliche Gesundheitsaufwendungen
Mehr als zehn Prozent des deutschen Bruttosozialprodukts, in Zahlen über 300 Milliarden Euro, also in etwa soviel wie der Bundeshaushalt, betragen die gesamten jährlichen Gesundheitsaufwendungen. Betrachtet man die drastische Zunahme der allgemeinen Lebenserwartung, scheint dieser Aufwand auch gerechtfertigt zu sein. Die Menschen werden immer älter. Hundertjährige hat es zwar schon immer gegeben, aber die Chance, dieses einmal als biblisch angesehene Alter zu erreichen, erlangen immer mehr Menschen. Auf der anderen Seite ist die Sterblichkeit von Neugeborenen und Kindern erheblich zurückgegangen, eine Zahl die statistisch gesehen die Lebenserwartung seit je stark negativ beeinflusst hat. Wer kann daher die Leistungsfähigkeit unserer modernen Medizin und mehr noch die unserer modernen Ärzte vor diesem Hintergrund in Zweifel ziehen? Niemand, möchte man meinen.

Große Leistungsdefizite bei Ärzten
Und doch geschieht dies in der Effizienzstudie des interuniversitären Instituts für Gesundheitsstruktur auf besonders dramatische Weise. Professor Titus Stromhagen hat bei der Vorstellung der neuesten Untersuchung zum Wirkungsgrad medizinischer Einrichtungen mit vernichtender Kritik am gesamten Gesundheitswesen nicht gespart und dabei vor allem die Leistungsfähigkeit einer Berufsgruppe, deren Ansehen in der ihre Leistungen in Anspruch nehmenden Bevölkerung besonders hoch ist, mit der durchschnittlichen Note ungenügend diskreditiert - die der Ärzte. In Deutschland sind ungefähr 350.000 Ärzte beruflich tätig, davon etwa die Hälfte in Krankenhäusern. Nach der Studie liegt dabei der Effizienzgrad im Sinne einer positiven Auswirkung auf die Gesundheit der Bevölkerung günstigstenfalls für etwa 80 % von ihnen bei Null (die durch ärztliche Tätigkeit verschlechterte Volksgesundheit war nicht Gegenstand der Studie). Mit anderen Worten, nach Stromhagens Ergebnissen könne man auf etwa 80 % der Ärzte schlichtweg verzichten, ohne dass sich deren Ausfall negativ auf die allgemeine Gesundheit der Bevölkerung auswirken würde. Dies gelte ganz besonders hinsichtlich der eingangs erwähnten gesundheitspolitischen Parameter wie dem Anstieg der allgemeinen Lebenserwartung. Dieser Umstand sei als solcher schon seit langem bekannt, so die Tatsache, dass mehr als 75 % des Gesamtaufwands für das Gesundheitswesen ohnehin keine der Gründe betreffen, die für den genannten Anstieg der Lebenserwartung verantwortlich seien. Die Studie habe, so Stromhagen, aber mehr und Deutlicheres an den Tag gebracht, dass nämlich das, was für die Kosten gelte, auch für die Leistungseffzienz der Ärzte zuträfe.

Diffuses Leistungsbild
Angesichts dieser Feststellungen bemühte sich Stromhagen erst gar nicht, mit Spott zu sparen, wie über den angeblichen Wirkungsgrad ärztlicher Diagnosen, wonach bei einem humpelnden beinamputierten Patienten 97 % der beteiligten Ärzten mit dem Verlust eines Gliedes die zutreffende Diagnose stellten. Auch sah er das an sich mehr ironisch gemeinte Bild bestätigt, wonach ein Arzt im Durchschnitt bei seiner Tätigkeit damit beschäftigt sei, 40 ihm bekannte Medikamente möglichst passend auf die vor ihm erscheinenden Patienten zu verteilen, bei besseren Ärzten seien es bis zu 80 Medikamente. Kämen dem Arzt bei dieser Zuteilung dann doch Zweifel, weise er den Beschwerden einen psychosomatischen Ursprung zu. Natürlich bediene sich der Arzt aller ihm erreichbarer Untersuchungsmethoden, vor allem des Einsatzes in seiner Praxis vorhandener und in zweiter Linie auch üblicher und von ihm erwarteter Untersuchungsverfahren, deren Ergebnisse aber zumeist nur durch den Filter der bestehenden Beschränkung der von ihm praktizierten Medikamentenverteilung wahrgenommen werden. Dabei wirkt sich eine weitere festgestellte weitverbreitete Leseschwäche unter Ärzten aus, die ihnen den Zugang über mehrere Absätze sich erstreckende schriftliche Darstellungen zu verschließen scheint, was erst recht für mehrere Seiten umfassende Dokumente gilt. Dies gilt selbst für zusammenfassende Laborergebnisse, zu deren Erhebung im weiten Umfang sie zwar den Auftrag erteilen (was Bedeutung für den Umfang der ärztlichen Vergütung hat), deren einzelne Daten aber nur insoweit überhaupt wahrgenommen werden, wenn normabweichende Resultate als solche farblich oder in einer ähnlich geeigneten grafisch auffälligen Weise auch kenntlich gemacht seien. Daher sei es unter den Kollegen, die auf solche Untersuchungen spezialisiert haben, wie etwa Laborärzte oder Röntgenologen, auch üblich, Ergebnisse in nicht mehr als zwei oder drei Sätzen darzustellen, ungeachtet der Komplexität der jeweiligen Untersuchung.

Kriterium: Diagnosesicherheit
Untersucht wurden unter anderem die Diagnosesicherheit und die theoretische Wirksamkeit angeordneter Therapien. Unter Diagnosesicherheit wird die Fähigkeit eines Arztes beurteilt, anhand der von ihm feststellbaren Symptome zu einer Diagnose mit der höchsten Wahrscheinlichkeit der Symptomverursachung zu gelangen. Schon während des klinischen Studiums wird den angehenden Medizinern dabei die Methode einer Differenzialdiagnose beigebracht, mithilfe derer dem symptomatischen Bild mögliche Ursachen, also gemeinhin Krankheiten, zugeordnet werden sollen. Die Effizienz dieses Verfahrens hängt von zweierlei ab, einmal von einer möglichst vollständigen Erfassung der beim Patienten feststellbaren Symptome, zum anderen von einem fundierten Wissen möglicher Ursachen, also der praktischen und theoretischen Beherrschung des vom jeweiligen Arzt betreuten Fachgebiets. Die Studie hat nun hinsichtlich beider Voraussetzungen gravierende Missstände nachgewiesen, die bei bis zu 80 % der teilnehmenden Ärzte auftraten. Bereits bei der Symptomerhebung fielen ein Großteil der Ärzte damit auf, dass sie sich ihnen bietende Informationsquellen erst gar nicht auswerteten. Besonders gravierend war das Übergehen von Schilderungen der Patienten über ihre Beschwerden, die bis zu in 90 % der Fälle schon gar nicht wahrgenommen wurden. Vielmehr schienen die beteiligten Ärzte überwiegend auf ganz bestimmte Fragestellungen beschränkt zu sein, die ihnen vom vorneherein einen Blick für die vorliegende besondere Symptomatik verstellten und zugleich bereits den Anwendungsbereich möglicher differentialdiagnostischer Betrachtung entschieden einschränkten. In vielen Fällen beschränkte sich die Symptomanalyse bei allen untersuchten Patienten auf die Punkte Rauchen, Alkohol und Fettleibigkeit sowie Bewegungsarmut. Eine Anamnese fiel mithin bei nichtrauchenden und alkoholabstinenten schlanken Patienten schlichtweg aus. Diese Defizite setzten sich im Umgang mit weiteren möglichen Informationen zur Symptomerfassung fort, indem auffallend viele Untersuchungsergebnisse in ihrer Bedeutung für die von dem Patienten beschriebenen Beschwerden nicht erkannt wurden, sondern durchweg eine Ergebniswahrnehmung nur aufgrund stereotypisch verwandter Parameter erfolgte. Die auf dieser erkenntnistheoretisch bereits erheblich reduzierten Basis beginnende eigentliche differentialdiagnostische Leistung führte schließlich in mehr als die Hälfte der Fälle zum vollkommenen Ausfall. Denn ein Großteil der untersuchten Ärzte beschränkte ihre Diagnose auf eine bestimmte und limitierte Anzahl von ihnen praktizierter Verfahren, und übergingen dabei sogar bereits festgestellte Symptome, da sie nicht zu den angewandten diagnostischen Stereotypen passten. Das heißt in der weitaus größten Anzahl ging die Differentialdiagnose schlichtweg ins Leere. Dort, wo sie symptomgerecht gestellt wurde, waren ihre Ergebnisse wiederum in einem erschreckenden Maße von schlichter Unkenntnis des differentialdiagnostischen Umfelds gekennzeichnet.

Kriterium: Theoretische Therapieeffizienz
Die theoretische Wirksamkeit angeordneter Therapien befasst sich mit der grundsätzlichen Möglichkeit einer verordneten Therapie, diagnostizierte Fehlfunktionen zu beheben. Unberücksichtigt bleiben dabei reine Placebo-Wirkungen. Dabei geht es nicht um eine pharmakologische Aussage zur Wirkung eines bestimmten Medikaments, sondern einmal um die Beurteilung, ob angesichts der festgestellten Umstände ein positive Wirkung der Maßnahme überhaupt möglich ist und zum anderen darum, ob Informationen über eine solche Wirkungseffizienz von dem Therapeuten nach seinem Verhalten erkannt werden können. Auffallend war, dass Ärzte überwiegend auf solche Medikamente zurückgriffen, deren breite bis oft unbestimmte weite WIrkungsweise bekannt ist, wie etwa bei bestimmten Antibiotika. Je weniger ein solches Medikament einer ganz bestimmten WIrkung zuzuordnen war, umso häufiger fand es in den untersuchten Fällen Verwendung. Ein differenzierter diagnostischer Befund führte in vielen Fällen nicht zu einer entsprechend differenzierten Verwendung einzelner Medikamente, sondern es blieb in der Regel dabei, vieles über einen Kamm zu scheren. Eine Wirksamkeitskontrolle verschriebener Therapien fand in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle nicht statt. Nur in knapp 20 % der Therapien wurden deren Anschlagen vom sie verordnenden Arzt auch nachgeprüft, im Übrigen erfolgte eine Beurteilung nur dann, wenn der Patient wegen Fortbestands der Beschwerden den Arzt von sich aus wiederaufsuchte. Aber selbst in diesen Fällen wurden wiederum nur in weniger als die Hälfte aller Untersuchungen die bereits erfolgte Therapie und mögliche Gründe ihres Scheiterns überprüft, in der Mehrzahl der Fälle wurde aus der begrenzten Auswahl von Medikamenten ein anderes verschrieben.

Von der Mehrheit vorgetäuschte Leistungseffizienz einer Minderheit
Bei der Vorstellung der Ergebnisse seiner Studie legte Stromhagen jedoch besonderen Wert auf seine Feststellung, dass mit dieser negativen Beurteilung keineswegs ärztliche Leistungen generell abgewertet werden würden. Denn Fortschritt und Möglichkeiten medizinischer Therapierung bewegten sich sowohl nach ihrer Diagnosesicherheit und ihrer Wirkungseffizienz (theoretische Wirksamkeit angeordneter Therapien) als auch den anderen Kriterien nach nach wie vor auf einem sehr hohen Niveau. Dieses Niveau werde aber nicht durch die Tätigkeit der ganz großen Mehrheit der Ärzte begründet, sondern ausschließlich von einer kleinen Gruppe von nicht mehr als 20 % von ihnen. Das Besondere bestehe aber nun gerade darin, dass sich die öffentlichen Wahrnehmung nahezu ausschließlich auf die Tätigkeit und Erfolge dieser Minderheit beziehe. Die große Mehrheit der Ärzte folgt einer hierdurch begründeten Erwartung insoweit, als sie bei ihrer Leistungserbringung vorgibt, zu entsprechenden gleichen Leistungen ebenfalls in der Lage zu sein. Hierauf beruhen die geschilderten Diskrepanzen. Denn in Wirklichkeit täuscht die Mehrheit die Qualität der Leistungen der Minderheit nur vor.

Teure Placebowirkung des weißen Rocks
Im Ergebnis stellt Stromhagen fest, dass das, was hinsichtlich der Kostenstruktur schon seit langem bekannt sei, ebenfalls für die Leistungsstruktur gelte, dass nämlich nicht mehr als 25 % des finanziellen oder persönlichen Aufwands zur Aufrechterhaltung und Verbesserung der Volksgesundheit beitrügen und damit auch erforderlichen seien. Angesichts der Tatsache, dass mehr als 10 % des Bruttosozialprodukts für den Gesundheitsbereich aufgewendet werden, sollte diese Feststellung endgültig Anlass zum Nachdenken über eine tiefgreifende Änderung dieses Bereichs geben. Es ist dabei ohnehin zu erwarten, dass sich mit dem Vordringen der Digitalisierung auch im Gesundheitswesen ohnehin automatisch eine zuverlässigere Erfassung der für die Diagnose erheblichen Symptomatik eines Patienten einstellen wird und im zweiten Schrift damit nicht nur die Basis für eine Diagnose sondern auch die Bandbreite möglicher Diagnosen ( im Wege der Differentialdiagnose) wesentlich und vor allem auch zuverlässiger erweitert werden wird. Auf den mit diesen Hilfsmitteln umgehenden Arzt wird aber man aber niemals verzichten können, indessen auf jene, die betriebsblind nach eingefahrenen Stereotypen in die Kiste ihnen bekannter Remeduren nur greifen und im Übrigen auf die Placebowirkung ihres weißen Rockes vertrauen.

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